Alle wollen in der Mitte sein 

Die Mitte ist äußerst beliebt. Dabei ist es genau genommen nur ein kleiner Punkt im Spektrum der Vielfalt. Der Grund ist einfach. Es geht nämlich dabei nicht um die Politik, denn sonst müsste man ja streiten. Es geht um die statistische Normalverteilung. Sie ist als eine Sinuskurve (positive Halbwelle) beschrieben, die ihren Höhepunkt in der Mitte hat und rechts und links langsam aber sicher abflacht. Unter der Kurve gesellen sich vielfältige und freie Menschen in ihrer Vielfalt. In totalitär sortierten Gemeinwesen würde man eher eine Gleichverteilung als waagerechten Strich sehen und in einer Klassengesellschaft eher mehrere kleine Erhebungen, eben für jede Klasse eine.

Führende Politiker aller Parteien versammeln sich und ihr Wahlvolk rhetorisch in der Mitte, weil dort die meisten Menschen ihr Glück versuchen. Wenn man also ökonomisch wirksam sein will, wählt man per se die Mitte. Man wäre unwirtschaftlich, würde man es nicht tun. Man braucht auch nur zu sagen: „Wir sind die Mitte“. Das reicht meistens schon. Eventuell gibt man noch ein kurzes politisches Statement ab und sagt, dass es die Mitte markieren würde. Das alles ist ziemlich langweilig und gipfelt im berühmten CDU-Wahlplakat im Jahr 1957 „Keine Experimente“.

Nun trifft sich in der Mitte nicht nur die Mehrzahl, sie ist auch das Zentrum derDurchschnittsbürger und langweiligen Bewahrer. An den Rändern der Kontinuums findet man alles, was eher neu, zumindest aber nicht etabliert ist. Da siedeln Querköpfe, Splittergruppen, dem Mainstream fremde Kulturen, große Denker, wegweisende Künstler und Protagonisten des irgendwie verbesserten Lebens. Ich nenne sie insgesamt Außenseiter und gebe ihnen damit ein Gütesiegel im Kontinuum.

Weil nun der Durchschnittsbürger der Mitte für Kontinuität fester Werte und Sicherheit steht und der Außenseiter für Innovation und Risikobereitschaft, brauchen sich beide wechselseitig. Das Leben des einen ist ohne den jeweils anderen sinnlos und praktisch auch nicht durchzuhalten.

Das Problem ist nur, dass die Vielen in der Mitte in ihrer relativen Einigkeit überbewertet werden. Wenn sie Unterschriften mit Unterstützung von Klickmaschinen sammeln und das fälschlicherweise als Petition bezeichnen, verstecken sich meist laue Argumente hinter aufgeblasenen Daten. Der ewige Wunsch, die Politik an dem Zählergebnis von Bürgerbefragungen auszurichten ist nichts anderes – und die Massenmedien stimmen mit. Der Qualitätsjournalismus dümpelt derweil in letzten Nischen des Feuilletons dahin. Es wäre besser, die Außenseiter wertzuschätzen und zu fördern, damit sie ihren Anteil für die gesellschaftliche Entwicklung bereitstellen, um das geldorientierte Wirtschaften mit Impulsen zu korrigieren.

Wer also rechts und links gleichermaßen am Ziel vorbei schießt, hat rein statistisch die Mitte getroffen.

Der Kampf um die Mitte hat gute Argumente verdient anstatt einen Kampf um Zahlen, dem jedes Mittel recht ist. Dass die Mitte – beispielsweise – plötzlich keinen Klimaschutz will, präjudiziert keine sinnvollen Parteiprogramme.

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